Kognitive Verhaltenstherapie: Sicherster Weg aus dem Zwang

Von Martin Niebuhr und Burkhard Ciupka-Schön


Die Kognitive Verhaltenstherapie einschließlich Exposition und Reaktionsverhinderung gilt als der Goldstandard für die Therapie von Zwängen und wird von anerkannten Spezialisten, Wissenschaftlern und therapeutischen Fachorganisationen (z.B. DGPPN) als Therapie der ersten Wahl empfohlen. Der folgende Artikel erklärt, was es dabei auf sich hat - und was dich zu Beginn der Therapie erwartet.

Zum Psychotherapeuten zu gehen, verbindest du vermutlich mit der Vorstellung, auf dem Sofa zu liegen und den tiefen Sinn deiner Gefühle zu ergründen. Bei der Therapie von Zwängen liegst du mit dieser Vorstellung weit daneben. Es gibt die psychoanalytischen Therapieformen, die früher einmal ihre Patienten auf die Couch gelegt haben, um die Bildung sogenannter freier Assoziationen zu fördern. Kaum ein Psychoanalytiker arbeitet heute noch klassisch mit dieser Couch-Methode. Geblieben ist in der tiefenpsychologischen oder psychoanalytischen Schule die Reflexion frühkindlicher Bindungserfahrungen. Sehr häufig finden wir tatsächlich Auffälligkeiten in der Biografie und Muster in der Bindung und der Persönlichkeit von Menschen mit einer Zwangsstörung. Das sind aber lange nicht die einzigen Ursachen, die wir heute bei Zwangserkrankten kennen.

Das Vorhandensein biografischer Ursachen heißt im Umkehrschluss nicht unbedingt, dass die Bearbeitung biografischer Themen für die Bewältigung von Zwängen therapeutisch verwertbar ist. Die DGPPN (Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde) hat aufgrund der wissenschaftlichen Befundlage in ihren S3-Leitlinien die Behandlung mit Selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI) und die Kognitive Verhaltenstherapie (Exposition mit Reaktionsverhinderung) zu den Therapien der ersten Wahl erklärt. Psychoanalyse und Tiefenpsychologische Therapie konnte von ihrer Wirkung bei der Therapie von Zwängen wissenschaftlich nicht nachgewiesen werden.1

Die erwiesenermaßen wirkungsvolle Kognitive Verhaltenstherapie, die wir hier vorstellen wollen, legt weniger Wert darauf, was deine Gefühle bedeuten könnten und was in deiner Vergangenheit war, sondern mehr Wert darauf, was du heute verändern kannst.

Kurzeinführung: Kognitive Verhaltenstherapie

Die Kognitive Verhaltenstherapie arbeitet unter der Grundannahme, dass Gefühle, Gedanken und Handlungen stets zusammenhängen und sich gegenseitig beeinflussen.

Wir kennen das aus unserem Alltag: Bei Todesfällen haben wir typische Gefühle wie Trauer, Gedanken wie „Das war aber ein netter Kerl...!" und Handlungen wie der Besuch einer Trauerfeier. Die Corona-Pandemie zeigt uns, wie unsere Gefühle der Trauer und Gedanken irgendwie verflacht wirken, wenn eine Trauerfeier abgesagt werden muss und ein würdiger Abschied verhindert wird.

Bei umgekehrten Vorzeichen gilt das Prinzip ebenso: Auch Karneval kennt einen Zusammenhang von typischen Handlungen (Umzüge, Büttenreden), Gedanken („So ein schöner Tag!") und Gefühlen (Spaß, Humor), die durch den Wegfall typischer Karnevalsrituale beeinträchtigt werden.

Wir könnten sagen, dass unser psychisches System nach einer inneren Stimmigkeit oder Ausgleich zwischen den Elementen Gefühle, Handlungen und Gedanken strebt: Wenn ich trauere möchte ich mir keine alberne Comedy-Sendung ansehen. Wenn ich zufällig auf eine Beerdigungsfeier geraten bin, fühle ich mich durch die traurigen Menschen, die Trauermusik ebenfalls traurig gestimmt, selbst wenn ich den Verstorbenen gar nicht kennen sollte.

Bei Zwängen - wie auch bei den meisten anderen psychischen Erkrankungen - wird von Betroffenen insbesondere die eigene Gefühlswelt als sehr belastend wahrgenommen: Mit Zwängen fühlst du dich meist verängstigt, ständig getrieben, unruhig und angespannt. Oft kommen Gefühle von Schuld, Scham, Ekel oder Unvollständigkeit hinzu.

Das typische Dreieck von Gefühlen, Gedanken und Handlungen bei Zwängen

Dich überrascht vermutlich nicht, dass deine Gefühle von dir nicht direkt beeinflusst werden können.2 Wenn man das könnte, würdest du dich einfach gegen deine negativen Gefühle entscheiden und du hättest keinen Zwang. Gefühle lassen sich nicht einfach abschalten.

Gedanken und Handlungen lassen sich besser lenken als Gefühle. In der Kognitiven Verhaltenstherapie arbeitet man daher meist nicht direkt mit Gefühlen, sondern erst einmal an Gedanken, Einstellungen und Handlungen.

Das Versprechen der Kognitiven Verhaltenstherapie ist, dass, wenn du hilfreichere Einstellungen zu deinen Gedanken entwickelst und du gesündere Handlungen auf- und Zwangshandlungen abbaust, deine Gefühlswelt und dein Selbstwert automatisch in eine positive Richtung folgen.3

Für diesen Zweck bedienen sich kognitive Verhaltenstherapeuten verschiedener Techniken, die von Störung zu Störung unterschiedlich sind. Bei Depressionen wird auf kognitiver Ebene beispielsweise daran gearbeitet, Alternativen zu negativen Fehleinschätzungen von sich selbst oder von seinen Mitmenschen zu korrigieren. Auf der Handlungsebene wird hingegen versucht, den Klienten zu gesünderen Verhaltensweisen zu motivieren - dazu gehören etwa ein strukturierter Alltag, sportliche Betätigung, soziale Interaktion und die Aufgabe des eigenen Zurückziehens vor Menschen.

Kognitive Verhaltenstherapie bei Zwängen

Bei Zwängen wird auf kognitiver Ebene unter anderem daran gearbeitet, die Akzeptanz von vermeintlich negativen Gefühlen wie Ungewissheit, Angst, Ekel, Scham und Schuld zu fördern, die bei fast allen Zwängen ein zentrales Symptom darstellen. Diese Gefühle haben wichtige Aufgaben zur Bewältigung unseres Alltages, daher ist es in einer Therapie wichtig, die positiven Seiten dieser Gefühlsqualitäten zu entdecken. Akzeptiere, dass du diese Gefühle nicht beseitigen kannst. Im Gegenteil - in deinem Bemühen diese vermeintlich unerwünschten Gefühle loszuwerden, wertest du die Bedeutung und die Energie der negativen Gefühle erheblich auf. Und erst dadurch werden sie unerträglich.

Weiterhin werden zwangsspezifische Fehleinschätzung korrigiert wie beispielsweise das übertriebene Verantwortungsbewusstsein vieler Betroffenen, das stark ausgeprägte Schwarz-Weiß-Denken oder die Überinterpretation der eigenen Gedanken und Gefühle.

Auf Basis der kognitiven Erkenntnisse hat die anschließende Verhaltenstherapie das Ziel, das erlernte Zwangsverhalten Schritt für Schritt wieder abzubauen. Dafür kommen insbesondere Expositionen mit Reaktionsverhinderung zum Einsatz. Hier lernst du, dich deinen gefürchteten Triggern und Zwangsgedanken zu stellen und deine Vermeidungen abzubauen (Exposition), ohne deinen Ritualen und Grübeleien nachzugehen (Reaktionsverhinderung). Das mag sich für dich auf den ersten Blick nicht nach dem anhören, was Du dir als Hilfe gewünscht hast. Allerdings verspricht dieser Ansatz nach aktuellem Wissensstand die besten langfristigen Erfolgsaussichten für deine Genesung.

Expositionen mit Reaktionsverhinderung: Deine beste Chance gegen den Zwang

Lange galten Zwänge als nicht oder schlecht therapierbar - dieses Bild hat sich aber in den letzten Jahrzehnten glücklicherweise grundlegend gewandelt:4 Zwänge werden heute meist viel früher entdeckt, was die Aussicht auf Erfolg deutlich bessert. In einer Vielzahl von wissenschaftlichen Studien konnte die Wirksamkeit von Expositionen mit Reaktionsverhinderung klar belegt werden.5 Die Studienlage ist sogar so eindeutig, dass alle namhaften Organisationen und Spezialisten empfehlen, dass die Therapieform Exposition ein notwendiger Bestandteil der Therapie ist. Zu diesen Organisationen gehören unter anderem die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN), die Deutsche Gesellschaft Zwangserkrankungen, die American Psychological Association, die American Psychiatric Association und viele mehr.

Expositionen mit Reaktionsverhinderung werden von diesen Organisationen nicht nur empfohlen - sie sind sogar die einzige empfohlene Form der Psychotherapie (daneben wird nur noch die medikamentöse Therapie mit SSRIs empfohlen). Der Grund für diese eindeutige Empfehlung ist die wissenschaftliche Studienlage: Es gibt keine wissenschaftlichen Studien zu erfolgreichen Therapieprogrammen gegen Zwänge, die Expositionen mit Reaktionsverhinderung nicht auch als Bestandteil des Programmes hatten.6

Die Empfehlung der DGPPN in der S3-Leitlinie für Zwangsstörung ist daher eindeutig: „Bei einer Zwangsstörung soll eine störungsspezifische Kognitive Verhaltenstherapie (KVT) einschließlich Exposition und Reaktionsmanagement als Psychotherapie der ersten Wahl angeboten werden."7

Vielleicht glaubst du trotzdem noch, dass dein Zwang nur verschwinden kann, wenn die Therapie die in der frühen Kindheit liegenden Probleme und Ursachen löst. Diese Ansicht wird auch heute noch von vielen Therapeuten fälschlicherweise vertreten und gerade für Betroffene selbst strahlt diese Idee eine gewisse Attraktivität aus. Entscheide dich klar, bevor du eine Therapie beginnst, ob du den Zwang beseitigen willst oder ob du deine Biografie aufarbeiten willst. Es kann sein, dass du nur eines dieser Ziele gleichzeitig bewältigen kannst. Es ist durchaus möglich, dass dich ein zu starker Fokus auf die Bearbeitung der Lebensgeschichte davon ablenkt, dass du zum Erhalt von Arbeitsplatz und Partnerschaft eigentlich erst einmal deinem Zwang zu Leibe rücken müsstest. Solltest du dich dafür entscheiden der Bewältigung des Zwanges den Vorrang zu geben, kannst du die Aufarbeitung der Lebensgeschichte auch zu einem späteren Zeitpunkt nachholen.

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Generell müssen die frühen Ursachen für deinen Zwang weder gefunden noch gelöst werden, um ihn zu überwinden: Gründe, die deinen Zwang entstehen lassen haben, sind nicht zwangsläufig auch die Gründe, die ihn heute am Leben halten.8 Angenommen, du hast bereits mit 15 Jahren einen Waschzwang entwickelt, weil deine Eltern extremen Wert auf Ordnung und Sauberkeit gelegt haben, dann sind deine Eltern jedoch heute nicht mehr der Grund, weswegen du mit 35 Jahren in deiner eigenen Wohnung das Händewaschen nicht sein lassen kannst. Niemand fragt einen Raucher, wieso er mit 15 Jahren nicht stark genug war, die erste ihm angebotene Zigarette abzulehnen. Genauso wie ein Raucher heute Strategien braucht, um seine Sucht abzulegen, braucht auch ein Betroffener von Zwangserkrankungen Strategien, mit denen er heute seinen Zwang überwinden kann.9 Diese Strategien liefert die Kognitive Verhaltenstherapie für Zwänge.

Zwänge haben eine Fülle von Ursachen, wobei die Kindheit nur einer von vielen Faktoren ist. Die Klärung dieser Ursachen kann dir dabei helfen, die notwendige Motivation für Expositionen aufzubauen. Klärung allein ohne Exposition gibt dir keine Möglichkeit, ein neues, gesünderes Verhalten zu erlernen. Und wie bereits zuvor erwähnt: Einen wissenschaftlichen Nachweis für die Psychotherapie gegen Zwänge gibt es nur für die Verhaltenstherapie einschließlich Expositionen und Reaktionsverhinderung.

Andere Therapieformen können vielleicht bei anderen psychischen Erkrankungen wie etwa Depressionen helfen. Bei Zwangs- und oftmals auch bei Angststörungen sind sie aber - obwohl sie noch immer von vielen Therapeuten praktiziert werden - ohne die notwendigen Elemente der Kognitiven Verhaltenstherapie nicht angebracht und oft kontraproduktiv.10

Beginn der Therapie

Vor Beginn überzeuge dich, dass sich dein Therapeut auch wirklich Erfahrung und Kompetenzen bei Zwängen angeeignet hat. Spezialisten für Zwangsstörungen sind auch heute noch eher selten. Meistens sagen Therapeuten, ob sie sich kompetent genug bei dem Thema Zwangserkrankungen fühlen. Leider gibt es aber immer wieder schwarze Schafe, die zur Selbstüberschätzung neigen. Die Deutsche Gesellschaft Zwangserkrankung berät bei der Suche nach kompetenten Therapeuten und Kliniken. Auch niedergelassene Nervenärzte kennen das therapeutische Netzwerk in ihrer Umgebung meistens recht gut und können Adressen von Spezialisten vermitteln. Aber eine Garantie für Kompetenz sind diese Empfehlungen leider nicht und du solltest dir auf jeden Fall selbst ein Urteil bilden.

Zu Beginn einer zielführenden Therapie durch einen Spezialisten wirst du viel über Zwangserkrankungen im Allgemeinen erfahren. Dieser Abschnitt wird „Psychoedukation" genannt.11 Vielen Betroffenen hilft die Psychoedukation bereits sehr, weil sie lernen, dass sehr viele andere Menschen unter der gleichen Problematik leiden und es in der Kognitiven Verhaltenstherapie eine Heilungsmöglichkeit für ihren Zwang gibt.

Anschließend wird die individuelle Zwangssymptomatik genau erfasst. Dieser Prozess hilft sowohl dem Therapeuten als auch dir selbst, euch klar darüber zu werden, wie stark die Symptomatik ist und an welchen Stellen die Therapie ganz gezielt ansetzen muss.

Psychoedukation und Therapieziele

Im Rahmen der Psychoedukation wirst du damit vertraut gemacht, was Zwänge eigentlich sind, warum du nicht einfach mit deinen Zwangshandlungen aufhören kannst, welche Rolle die Anspannung (Ungewissheit, Ekel, Scham, Schuld) bei allen Zwängen spielt und wie dir die Kognitive Verhaltenstherapie dabei helfen kann, dein Leben nach und nach zurückzugewinnen.

Im Spezifischen wird beispielsweise über die Ziele und die Vorgehensweise der Therapie gesprochen. Dein Zwang ist erlerntes Verhalten, das nicht einfach „gelöst" oder entfernt werden kann: Genauso, wie sich dein Zwang langsam in dein Leben eingeschlichen hat, wird er im Laufe der Therapie wieder ausgeschlichen. Entsprechend ist das Therapieziel, die Symptomatik bestehend aus Zwangsgedanken, Zwangshandlungen, negativen Emotionen und Vermeidungen so stark zu reduzieren, dass du wieder ein normales und lebenswertes Leben führen kannst. Die meisten Betroffenen können sehr von der Therapie profitieren - bei einigen verschwindet die Zwangssymptomatik sogar vollständig.12

Vielleicht macht dir die Aussicht Angst, dass dein Zwang vielleicht nie komplett verschwinden wird. Lass dich davon aber nicht entmutigen. Alleine eine Reduktion deiner Symptome um 70% würde dein Leben in einem Ausmaß verbessern, dass du dir heute vielleicht noch gar nicht vorstellen kannst. Denk alleine daran, wie viel Zeit du heute auf Zwangshandlungen und Grübeleien aufwendest, die du anschließend für Hobbies, Familie oder deinen Karrierefortschritt verwenden könntest.

Außerdem werden viele andere Bereiche deines Lebens von der Therapie profitieren können, wie du es dir heute noch gar nicht vorstellen kannst. Jonathan Grayson, ein anerkannter Psychotherapeut und Spezialist für Zwangserkrankungen, behauptet beispielsweise sogar, dass Betroffene nach der Therapie „besser als normal" sein werden, weil sie gelernt haben, in jedem Lebensbereich besser mit Ungewissheit umzugehen als Nicht-Betroffene.13 Es gibt also allen Grund zur Hoffnung.

Vollständige Erfassung der Zwangssymptomatik

Nach der grundlegenden Psychoedukation wird dein individueller Zwang vollständig erfasst, denn ein Zwang kommt selten allein. Und in der Therapie können auch die kleinen Zwänge bedeutsam werden, weil sie zum gesamten System aus Zwängen und Unsicherheit ihren Beitrag leisten. Dein Zwangssystem besteht aus Zwangsgedanken und Triggern, die negative Emotionen auslösen, welche du wiederum versuchst mit Zwangshandlungen und Vermeidungen aufzulösen oder zu unterdrücken.14

Im ersten Schritt übergibt dir dein Therapeut in der Regel einen ausführlichen Fragebogen, in dem typische Zwangsgedanken und Trigger sowie Zwangshandlungen und Vermeidungen abgefragt werden.15 Im zweiten Schritt begibst du dich in eine Selbstbeobachtungsphase, in der du alle deine Zwangsgedanken, Trigger, Zwangshandlungen und Vermeidungen sowie dein Anspannungslevel und die Dauer der Zwangshandlungen über einige Tage hinweg einträgst.16 Anschließend wird dein individuelles Zwangssystem erstellt, indem dein Zwang vollständig in seine Bestandteile zerlegt wird.17

Die vollständige und genaue Erfassung deines Zwangs ist aus mehreren Gründen von höchster Wichtigkeit. Erstens ist sowohl für dich als auch deinen Therapeuten wichtig zu erfahren, wie sehr dich dein Zwang aktuell einschränkt und was genau dir am meisten zu schaffen macht. Du wirst überrascht sein, wie viel Zeit dein Zwang in Anspruch nimmt.

Zweitens ist dieser Schritt notwendig, um dir eine vollständige Therapie anbieten zu können: Oft kommen Betroffene wegen eines Zwanges in die Therapie, entdecken aber währenddessen, dass einige ihrer Verhaltensweisen, die sie zuvor als normal angesehen haben, auch einen Zwang darstellen oder zumindest zwanghafte Züge aufweisen.18

Drittens ist es wichtig Zwangsgedanken und mentale Zwangshandlungen zu unterscheiden. Zwangsgedanken sind Ideen, Gedanken und Vorstellung, die die Anspannung hochtreiben (z. B.: „Habe ich den Herd angelassen?" - „Habe ich meine Mutter ermordet?"). Mentale Zwangshandlungen sind dagegen Gedanken und Vorstellungen, die der Beruhigung und Neutralisierung dienen (z. B.: mentales Zählen, einen schlechten Gedanken durch einen guten Gedanken ersetzen). Die Unterscheidung zwischen Zwangsgedanken und Zwangshandlungen ist in diesem Spezialfall oft schwierig.19 Diese Unterscheidung ist für den Therapieerfolg jedoch von allerhöchster Relevanz.

Nachdem dein Zwang nun genau erfasst wurde, beginnt der Kern der Kognitiven Verhaltenstherapie: In der Kognitiven Therapie wirst du zuerst alle deine Fehlwahrnehmungen in Bezug auf deinen Zwang kennenlernen. Dieser Schritt lehrt dich, deinen Zwang zu entwaffnen und ihm auf Augenhöhe begegnen zu können. Die Kognitive Therapie wird dir außerdem die notwendige Motivation verschaffen, dich in den anschließenden Expositionen deinen Ängsten und Befürchtungen zu stellen. Lies im nächsten Artikel weiter, wie dich die Kognitive Therapie gegen deinen Zwang unterstützt.

  1. DGPPN S3-Leitlinie (2013), S. 49
  2. „You try to use logic to change your feelings, and that doesn't work.", Grayson (2014), S. 10
  3. Vgl. Fricke (2016), S. 241
  4. Fricke (2016), S. 7; Grayson (2014), S. 3; Ciupka-Schön (2020), S. 8
  5. DGPPN S3-Leitlinie (2013), S. 34
  6. „If you were to examine the research on the treatment of OCD, you would find that there are no conclusive studies of successful OCD programs that don't also include exposure and response prevention in some form", Grayson (2014), S. 59; „Während bei anderen Störungen wie Depressionen, Angststörungen oder Borderline-Störungen mittlerweile randomisierte und kontrollierte Studien auch mit psychodynamischen oder anderen Psychotherapieverfahren existieren, fehlen diese bei Zwangsstörungen bis heute", DGPPN S3-Leitlinie (2013), S. 34
  7. DGPPN S3-Leitlinie (2013), S. 37
  8. Grayson (2014), S. 61
  9. Diese Analogie ist angelehnt an Grayson (2014), S. 61
  10. Grayson (2014) ff.; Seif und Winston (2014), S. 15 ff.; Seif und Winston (2014), S. 67 ff.
  11. Fricke (2016), S. 49 ff.
  12. Fricke (2016), S. 8
  13. „Living with uncertainty is better coping for everyone, so when you overcome your OCD, you still won't be normal. In fact, you will be better than normal, because the majority of non-sufferers won't cope with uncertainty as well as you!", Grayson (2014), S. 276↩
  14. Ciupka-Schön (2020), S. 17
  15. Fricke (2016), S. 61 ff.; Ciupka-Schön (2020), S. 20 ff.; Grayson (2014), S. 64 ff.
  16. Fricke (2016), S. 77; Grayson (2014), S. 66
  17. Vgl. Fricke (2016); S. 64
  18. Grayson (2014), S. 64
  19. Fricke (2016), S. 274
Über die Autoren
Martin Niebuhr

Martin hat OCD Land gegründet, damit sich Betroffene einer Zwangsstörung endlich auch im Internet über effektive und wissenschaftlich fundierte Behandlungsverfahren informieren und auszutauschen können. Er ist Entwickler der OCD Land-Webseite, Host des Zwanglos-Podcasts, Autor auf dem OCD Land-Blog und Moderator im Community-Forum.

Burkhard Ciupka-Schön

Burkhard Ciupka-Schön ist Mitbegründer der Deutschen Gesellschaft Zwangserkrankungen und war von 1995 bis Ende 2000 deren Geschäftsführer. Er ist psychologischer Psychotherapeut und Ambulanzleiter in eigener Praxis. Als Dozent und Supervisor an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf bildet er angehende Psychotherapeuten aus. Sein Therapie- und Lehrfokus sind Zwangserkrankungen. Burkhard Ciupka-Schön ist Autor des Buches Zwänge bewältigen - Ein Mutmachbuch*.