Teufelskreis Zwang: Was den Zwang so unwiderstehlich macht

Von Martin Niebuhr und Burkhard Ciupka-Schön


Zwangserkrankungen sind immer durch das Zusammenspiel von aufdringlichen Gedanken, negativen Gefühlen und sich wiederholenden Zwangshandlungen oder Grübeleien charakterisiert. Erst bei genauer Betrachtung wird ersichtlich, warum Betroffene diesem Teufelskreis kaum entfliehen können - und wo sie etwas entgegensetzen können.

Was ist das Alleinstellungsmerkmal des Menschen? Nein, der aufrechte Gang, Sprache oder der Werkzeuggebrauch sind es nicht. Ja, nur der Mensch besitzt die Fähigkeit zur Abstraktion und zu einem planvoll in die Zukunft gerichteten Handeln. In diesem Sinne haben Vorratshaltung und vielfältige, abstrakte Erfindungen die Entwicklung der Menschheit markiert. Geld, Religion, Werte, Marken sind Dinge, mit denen wir selbstverständlich umgehen, obwohl es diese in einer realen, gegenständlichen Welt eigentlich gar nicht gibt.

So gesehen ist die Zwangsstörung eine sehr menschliche Störung, weil die Befürchtungen, die den Inhalt der Zwangsgedanken bilden, allesamt in einer unklaren Zukunft angesiedelt sind - mit Katastrophen, die ebenfalls meistens sehr vage sind. Die Katastrophen in Zwangsgedanken in Bezug auf die Angst vor Gottes Verdammnis oder die Ängste vor dem Tod und sozialer Ächtung haben die von Zwängen betroffenen Personen meistens nie selbst erlebt. Vielmehr haben sie eine vage Vorstellung davon aus mündlichen oder schriftlichen Berichten.

Die Attacke durch einen bösartigen bellenden Wachhund kann ich durch Flucht oder mit beherztem Einsatz eines Regenschirms beenden. Bei Erfolg ist auch die damit verbundene Angst beendet. Anders ist es hingegen abstrakten zukünftigen Bedrohungen: Diese erzeugen anhaltende Anspannungen, die mit solchen konkreten Mitteln nicht abgewehrt werden können. Nicht selten greifen Betroffene daher auf magische Mittel, wie zum Beispiel das magische Zählen oder magisches Waschen und Kontrollieren, zurück oder sie versuchen das Eintreten der Bedrohungen und die damit verbundene Anspannung durch übertriebene Gegenmaßnahmen oder endloses Grübeln zu neutralisieren.

Zwangsgedanken: Was Betroffene beunruhigt

Der Begriff Zwangsgedanke ist zugegeben etwas sperrig. Im Englischen wird stattdessen das Wort "Obsession" verwendet, was man auch mit "Besessenheit" oder "Fixierung" übersetzen kann. Ursprünglich stammt das Wort "Obsession" wiederum vom lateinischen "obsessus", was übersetzt "belagert" heißt. Vielleicht kommt dieses Wort tatsächlich dem am nächsten, wie du dich fühlst: Belagert von wiederkehrenden Gedanken, Vorstellungen oder Impulsen, die ständig auf dich einprasseln, negative Emotionen auslösen und denen du kaum etwas entgegenzusetzen weißt.1 Der Einfachheit halber werden im deutschen Sprachgebrauch all diese Dinge unter dem Begriff "Zwangsgedanken" zusammengefasst.

Zwangsgedanken zeichnen sich dadurch aus, dass sie ein starkes Gefühl der Unruhe hinterlassen - unter anderem weil sie eine gewisse Ungewissheit beinhalten. Jeder der sich das erste Mal mit Zwängen beschäftigt, ist von der Vielfalt der Zwangsgedanken und Zwangshandlungen verwirrt, sodass sich schnell die Frage aufdrängt, wo die Gemeinsamkeiten von Zwängen liegen. Fast immer kann man einen Zwangsgedanken in einen Satz umformulieren, der mit "Aber vielleicht..." oder mit "Was wäre, wenn... " beginnt.2 Zwangsgedanken haben bei aller Vielfalt einen gemeinsamen Kern: Die Beschäftigung mit diffusen, abstrakten, d.h. nicht sichtbaren Bedrohungen. Ziel von Zwangshandlungen ist es, eine Anspannung, die meistens durch Zwangsgedanken oder durch ängstigende Signale ausgelöst werden, zu neutralisieren.

Diese Ungewissheit hinter den Zwangsgedanken ist oft sofort erkennbar, aber bei manchen Zwangsgedanken auf den ersten Blick gar nicht so offensichtlich. Als Betroffener mit aggressiven Zwangsgedanken könntest du beispielsweise das ungewollte Bild vor Augen haben, wie du jemanden auf die Gleise wirfst. Die Ungewissheit resultiert in diesem Fall nicht direkt aus diesem Bild, sondern daraus, dass du nicht weißt, was dieses Bild für dich bedeutet. Du weißt nicht, warum dir solche Gedanken kommen und du weißt auch nicht, was sie über dich aussagen könnten. Und diese Ungewissheit treibt dich in den Wahnsinn. Dieses Bild könnte man nun in den folgenden Zwangsgedanken umformulieren: "Was wäre, wenn ich mich nicht mehr unter Kontrolle hätte und wirklich jemanden auf die Gleise werfe?"

Zwangsgedanken können sehr vielfältig sein und nahezu jede erdenkliche Form annehmen.3 Meist greifen sie Themen auf, die dem individuellen Betroffenen sehr am Herzen liegen. Wenn dir deine Familie ausgesprochen wichtig ist, wirst du beispielsweise große Angst davor haben, dass deiner Familie Schaden zugefügt wird. Daran Schuld zu sein wäre für dich unerträglich, weswegen du alles daran setzt, diesen Schaden zu vermeiden. Analog möchte beispielsweise ein tiefgläubiger Christ um jeden Preis vermeiden, Gott zu beleidigen. Menschen, die distanziert zum Christentum stehen, entwickeln hier auch keine Zwänge.

Die häufigsten Inhalte von Zwangsgedanken sind daher gar nicht so abwegig wie man auf den ersten Blick annehmen könnte. Sie beschäftigen sich meist mit Themen, die für fast jeden relevant sind.

Die häufigsten Inhalte von Zwangsgedanken:4

  • Kontamination ("Aber vielleicht habe ich ja HIV an meinen Händen...")
  • Kontrolle ("Was wäre, wenn der Herd nicht aus wäre?")
  • Sexuelle Inhalte ("Aber vielleicht bin ich homosexuell...")
  • Aggressive Inhalte ("Aber vielleicht bedeutet dieses Bild in meinem Kopf, meine Ehefrau zu erstechen, ja doch, dass ich ein Mörder bin...")
  • Religiöse Inhalte ("Was wäre, wenn ich im Gottesdienst auf einmal anfange, auf Gott zu fluchen?")
  • Moralische Inhalte ("Vielleicht würde man mir den Uni-Abschluss aberkennen, wenn jeder wüsste, dass ich damals in der Klausur gespickt habe...")
  • Gedanken über den Zwang selbst ("Vielleicht habe ich ja doch keinen Zwang und meine Gedanken haben wirklich eine Bedeutung und sagen etwas über meinen schlechten Charakter oder meine Perversion aus ...")
  • Magische Inhalte und Unvollständigkeit ("Aber vielleicht passiert meiner Mutter etwas, wenn ich nicht dreimal unter der Brücke hindurchgehe...")
  • ...

Bei vielen der hier genannten Inhalte von Zwängen fällt es den Betroffenen schwer, Einsicht in die Unsinnigkeit ihrer Zwangsideen zu entwickeln, weil Themen wie Sauberkeit, Ordnung, gutes Benehmen, Sicherheit und Frömmigkeit in der Erziehung stets als positive Werte vermittelt wurden.5 Durch einen langsam fortschreitenden Kontrollverlust und eine zunehmende exzessive Ausführung mit hohem Zeitbedarf wird schließlich unbemerkt aus diesen Tugenden ein Zwang. Man könnte auch sagen: Der Zwang tarnt sich mit dem Deckmäntelchen der Tugend, um sich vor Entdeckung zu schützen.

Die Liste möglicher Zwangsgedanken ist sicher unvollständig und generell so unerschöpflich wie die menschliche Kreativität. Es ist sehr wahrscheinlich, dass du deine individuellen Obsessionen nicht auf dieser kurzen Liste gefunden hast. Das bedeutet nicht, dass du keinen Zwang hast - das bedeutet in erster Linie, dass dir ein anderes Thema sehr wichtig ist.

Ohne zu sehr darauf einzugehen, wie Betroffene einen gesünderen Umgang mit ihren Gedanken bekommen (dazu später mehr), hier noch ein interessanter Fakt: Nahezu alle Menschen haben Gedanken dieser Art.6 Der Unterschied zwischen dir und Nicht-Betroffenen ist, dass du diesen Gedanken eine Bedeutung beimisst und diese bei dir ein schlechtes Gefühl hinterlassen. Während der Bestseller-Autor Stephen King mithilfe seiner kreativen Gedanken nervenkitzelnde Thriller schreibt und mit ihnen Millionen verdient, denkst du darüber nach, was deine Gedanken über dich aussagen könnten.7

Damit sei nicht gesagt, dass diese Erkenntnis alleine deinem Zwang die Luft aus den Segeln nimmt. Wenn das so wäre, wäre die Therapie von Zwängen mit einer Therapiesitzung oder mit dem Lesen dieser Zeilen erledigt. Denn vermutlich kommt dir relativ schnell ein neuer Gedanke: "Aber was ist, wenn das bei mir anders ist...". Vielleicht erkennst du aber bereits, dass auch dieser Gedanke alle Bedingungen eines Zwangsgedanken erfüllt.

Zwangsgedanken hinterlassen negative Gefühle

Zwangsgedanken lösen bei dir negative Gefühle aus, die sehr unangenehm sein können. Fast immer werden diese Gefühle von Betroffenen selbst als übertrieben wahrgenommen.

Zu den häufigsten negativen Gefühlen8 gehören:

  • Angst
  • Schuld
  • Scham
  • Ekel
  • Unvollständigkeit

Meistens gesellen sich dazu zusätzlich Gefühle der Unruhe, Unbehagen und Anspannung sowie ein Gefühl der Dringlichkeit - als müsste jetzt sofort etwas dagegen gemacht werden.

Zwangshandlungen: Was du tust, um deine Unruhe zu neutralisieren

Als Betroffener möchtest du deine Zwangsgedanken und negativen Gefühle loswerden oder befürchtete Ereignisse verhindern.9 Konntest du vielleicht zu Beginn deiner Erkrankung die Zwangsgedanken und Gefühle hinreichend ignorieren, fällt dir das mit zunehmender Stärke der Erkrankung immer schwerer. Als Folge dessen führst du Zwangshandlungen aus, mit denen du deine negativen Gedanken und Gefühle neutralisieren möchtest. Oft helfen dir Zwangshandlungen kurzfristig, diese Gefühle zu verringern, verstärken aber langfristig deinen Zwang.

Lesefaul?
Folge uns auf Social Media!


Deine Zwangshandlungen können beispielsweise wie bei Wasch- oder Kontrollzwängen sichtbar für andere ablaufen, aber auch rein kognitiv (also nur im eigenen Kopf) stattfinden.10 Fachleute nennen dies mentale Zwangshandlungen, weil sie ebenso der Neutralisierung von Anspannung dienen und nicht die Anspannung steigern, wie dies bei Zwangsgedanken geschieht. Bei Zwangshandlungen gilt das gleiche wie bei Zwangsgedanken: Die Liste möglicher Zwangshandlungen ist unendlich lang. Außerdem gilt eine Zwangshandlung natürlich nur dann als Zwangshandlung, wenn sie übermäßig viel Zeit in Anspruch nimmt und als belastend, übertrieben und unbegründet empfunden wird.11 Folgende Beispiele sind nur eine Auswahl aus der großen Vielfalt möglicher Zwangshandlungen.

Beispiele für sichtbare Zwangshandlungen:

  • Hände lange waschen, um alle Bakterien loszuwerden
  • Herd mehrfach kontrollieren, um zu verhindern, dass das Haus abbrennt
  • Das Auto auf Kratzer untersuchen, um zu kontrollieren, ob man nicht doch jemanden aus Versehen überfahren haben könnte
  • Fotos machen, um die Situation überprüfen zu können
  • Wiederholt den Ehemann fragen, ob er einen noch liebt
  • Im Internet nach Antworten auf seine quälenden Zwangsgedanken suchen
  • Herstellen von zwanghafter Ordnung und Symmetrie
  • Meiden von Unglückszahlen wie die 13
  • ...

Beispiele für mentale Zwangshandlungen:

  • Gedanken verdrängen
  • Gedanken ersetzen
  • Checken, ob bestimmte Gedanken oder Gefühle noch da sind
  • Sich ablenken
  • Gedanken argumentativ entkräften
  • Wiederholtes Durchgehen von vergangenen Ereignissen
  • Sich selbst beruhigend zureden
  • Magisches Zählen oder Listenaufsagen
  • „Inneres Foto" machen
  • ...

Viele Experten zählen Vermeidungen und Rückversicherungen bei Angehörigen entweder ebenso zu den Zwangshandlungen, mindestens aber zu den problematischen Bewältigungsstrategien.12 Diese Vermeidungen sollten immer dann als problematisch angesehen werden, wenn du damit versuchst, den oben genannten negativen Emotionen zu entgehen.

Problematisch sind außerdem Aktivitäten, von denen du dir in erster Linie eine Reduktion der Anspannung versprichst (Entspannungs- und Atemübungen, Meditation, Sport, Verzicht auf bestimmte Lebensmittel).13 Die Aktivitäten an sich sind dabei nicht das Problem, sondern die Absicht, dass sie dir sofort Linderung verschaffen sollen. Der Effekt ist meistens ähnlich wie bei anderen Zwangshandlungen: Kurzfristig geht es dir zwar besser, aber langfristig hilft es dir nicht, deine Zwangsgedanken und negativen Gefühle zu neutralisieren. Oft kommt es sogar zu einer "Verzwängelung" dieser Aktivitäten14 oder zur Vorstellung, man müsse sie nur korrekt ausführen, dann ginge es einem besser.

Wieso sich dein Zwang selbst nährt: Der Teufelskreis Zwang

Jetzt weißt du aber immer noch nicht, wieso du in diesem verflixten Teufelskreis feststeckst. Schließlich versuchst du doch alles, um aus diesem Kreislauf auszubrechen. Mit deinen Zwangshandlungen hast du zwar die Absicht, dich von den Gedanken und Gefühlen zu befreien, aber sie geben dir - wenn überhaupt - nur kurzfristige Entspannung. Gleichzeitig schaffen sie es aber nicht, deinen Zwang langfristig aufzulösen. Wieso ist das so?

Kognitive Verzerrungen15
Betroffene leiden stark unter sogenannten kognitiven Verzerrungen. Zu den typischen kognitiven Verzerrungen gehören etwa die Überbewertung eigener Gedanken und Gefühle, die Intoleranz von Ungewissheit, ein übertriebenes Verantwortungsbewusstsein und der Glaube, Gedanken und Gefühle kontrollieren zu können und zu müssen. Diese Verzerrungen stärken den Glauben, deinen zwanghaften Befürchtungen mehr Kontrolle in Form von Zwangshandlungen entgegenbringen zu müssen. Mehr dazu in den folgenden Artikeln.

Zwangshandlungen halten nicht das, was sie versprechen16
Du wirst niemals das erreichen, was dein Zwang von dir möchte. Egal, wie sehr du dich wäscht, kontrollierst oder mental mit dir debattierst - eine hundertprozentige Gewissheit ist niemals erreichbar. Für jemanden mit dem Zwangsgedanken, seine Frau zu erstechen, wird trotz aller versteckter Messer immer die kleinste Restwahrscheinlichkeit bestehen, dass genau diese Befürchtung wahr werden könnte: Nicht jedes Messer kann vermieden werden und statt seine Frau mit dem Messer zu erstechen, kann man sie auch immer noch die Treppe runterwerfen. Als Antwort auf jede Zwangshandlung und Vermeidung wird dein Zwang - kreativ wie er ist - immer einen neuen Zwangsgedanken, ein neues "Was wäre, wenn...", finden. Und nicht nur das: Durch den zwangsbedingten Daueralarm kommt unser Bewusstsein in einen Zustand der Ermüdung. Reale Gefahren werden dadurch schneller übersehen als bei gesunden Menschen. Der Zwang hält nicht, was er verspricht - er führt genau zum Gegenteil!

Zwangshandlungen stärken deine Zwangsgedanken17
Mit jeder durchgeführten Zwangshandlung gibst du deinem Unterbewusstsein das Signal, dass deine Zwangsgedanken und Gefühle ein tatsächliches Problem sind. Rein evolutionär betrachtet sind wir Menschen aufs Überleben programmiert. Wenn ein Tiger im Dorf ist, dann ist es sehr hilfreich, dass uns unser Unterbewusstsein in kurzen Abständen daran erinnert und uns physiologisch in einen Angstzustand versetzt, der uns bestmöglich auf Kampf oder Flucht vorbereitet. Durch das Ausführen von Zwangshandlungen hast du nun aber deinen Organismus darauf trainiert, dich regelmäßig auf die Gefahr hinzuweisen, die von deinen Zwangsgedanken ausgeht. Dein Unterbewusstsein wird dich also noch häufiger daran erinnern - was deinen Glauben an deine Zwangsgedanken nur noch verstärkt.

Jede Zwangshandlung belohnt deinen Zwang
Zudem wird dir die Ausführung von Zwangshandlungen und Vermeidungen kurzfristig meist eine kleine Beruhigung verschaffen. Durch diese "Belohnung" lernt dein Unterbewusstsein, dass die einzige logische Antwort auf einen Zwangsgedanken und ein damit einhergehendes negatives Gefühl die Zwangshandlung ist. Stell dir vor, du trainierst einen Hund mithilfe von Leckerlies. Genauso dressierst du dein Unterbewusstsein darauf, dass nach einer durchgeführten Zwangshandlung eine Belohnung durch Beruhigung erfolgt. Es setzt damit ein Lerneffekt ein, der mit zunehmender Stärke des Zwanges immer schwerer zu durchbrechen ist. Jedem Betroffenen fällt es aufgrund dessen schwer, seine Zwangshandlungen zu unterlassen.

Entstanden ist schlussendlich ein sich selbst verstärkender Teufelskreis Zwang:18

  1. Zwangsgedanken lösen verstärkt durch kognitive Verzerrungen negative Gefühle aus.
  2. Um die negativen Gefühle und Gedanken zu reduzieren, führst du Zwangshandlungen aus.
  3. Ausgeführte Zwangshandlungen und Vermeidungen mindern zwar kurzfristig deine negativen Gefühle, verschaffen dir aber langfristig keine vollständige Gewissheit. Hingegen wertest du die Wichtigkeit deiner Zwangsgedanken dadurch auf.
  4. Dein Unterbewusstsein sendet dir daher noch häufiger Zwangsgedanken und du startest wieder von vorne.

Teufelkreis Zwang aus 'Zwänge bewältigen - Ein Mutmachbuch', Burkhard Ciupka-Schön

Wie du nun vermutlich erkannt hast, ist dein derzeitiger Umgang kontraproduktiv und hält dein Zwangssystem langfristig am Leben. Eine neue Herangehensweise muss also her - eine Herangehensweise, der du vielleicht erst einmal skeptisch gegenüber stehst, die aber bereits sehr vielen Betroffenen geholfen hat und die wissenschaftlich so gut erforscht ist, dass sie heute als Therapie der ersten Wahl bei Zwangserkrankungen von allen namhaften Experten und Institutionen empfohlen wird. Bei dieser Therapieform handelt es sich um die Kognitive Verhaltenstherapie einschließlich Exposition und Reaktionsverhinderung.

Mit der Kognitiven Verhaltenstherapie lernst du, ein gesünderes Verhältnis zu deinen Gedanken, Gefühlen und Handlungen zu bekommen. Du wirst lernen, dass es eine Alternative zu deinen Zwangshandlungen geben wird, nämlich die Ungewissheit deiner Zwangsbefürchtungen genauso zu akzeptieren wie du auch andere Ungewissheit in deinem Leben akzeptieren kannst.

Schließlich lernst du, dich deinen Befürchtungen zu stellen ohne zu Grübeln oder Zwangshandlungen auszuführen und dein Leben Schritt für Schritt zu normalisieren. Die Therapie ist für Betroffene harte Arbeit, aber die Erfolgsaussichten stehen sehr gut.

Lies im nächsten Artikel, warum die Einsicht in deinen Zwang eine wichtige Notwendigkeit für den Erfolg deiner Therapie darstellt.

  1. Ciupka-Schön (2020), S. 17; Fricke (2016), S. 16
  2. Vgl. Grayson (2014), S. 8, 218
  3. Ciupka-Schön (2020), S. 25
  4. Die Aufzählung richtet sich grob nach Grayson (2014) und Ciupka-Schön (2020)
  5. Betroffene erachten die Themen, um die sich ihr Zwang dreht, als sehr wichtig. Dennoch halten nahezu alle Patienten ihre Zwangsgedanken und Zwangshandlungen für übertrieben und unbegründet. DGPPN S3-Leitlinie (2013), S. 21
  6. Grayson (2014), S. 100; DGPPN S3-Leitlinie (2013), S. 9
  7. Der Vergleich stammt von Grayson (2014), S. 222
  8. Häufig wird in der Literatur bei Zwängen Angst als primäre negative Emotion aufgezählt. Ciupka-Schön (2020) geht ausführlich auf die Differenzierung der verschiedenen negativen Emotionen ein.
  9. Fricke (2016), S. 16
  10. Man spricht dann von Zwangsgedanken oder Grübelzwängen. Siehe DGPPN S3-Leitlinie (2013), S. 20
  11. DGPPN S3-Leitlinie (2013), S. 21
  12. Ciupka-Schön (2020), S. 32; Fricke (2016), S. 77; Grayson (2014), S. 66, spricht von „passive avoidances"
  13. Seif und Winston (2014), S. 134
  14. Ciupka-Schön (2020), S. 142
  15. Eine ausführliche Darlegung von Denkverzerrungen bietet das Buch „Erfolgreich gegen Zwangsstörungen" Steffen Moritz und Marit Hauschildt; Grayson (2014), S. 96; Fricke (2016), S. 131
  16. Ciupka-Schön (2020), S. 67
  17. Man spricht von positiver oder doppelter Rückkopplung. Siehe bspw. Fricke 2016 (S. 126) oder Ciupka-Schön (2020), S. 52
  18. Ein ähnliches, wissenschaftliches Modell ist das kognitiv-behaviorale Modell. Siehe Fricke (2016), S. 125; DGPPN S3-Leitlinie (2013), S. 9.
Über die Autoren
Martin Niebuhr

Martin hat OCD Land gegründet, damit sich Betroffene einer Zwangsstörung endlich auch im Internet über effektive und wissenschaftlich fundierte Behandlungsverfahren informieren und auszutauschen können. Er ist Entwickler der OCD Land-Webseite, Host des Zwanglos-Podcasts, Autor auf dem OCD Land-Blog und Moderator im Community-Forum.

Burkhard Ciupka-Schön

Burkhard Ciupka-Schön ist Mitbegründer der Deutschen Gesellschaft Zwangserkrankungen und war von 1995 bis Ende 2000 deren Geschäftsführer. Er ist psychologischer Psychotherapeut und Ambulanzleiter in eigener Praxis. Als Dozent und Supervisor an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf bildet er angehende Psychotherapeuten aus. Sein Therapie- und Lehrfokus sind Zwangserkrankungen. Burkhard Ciupka-Schön ist Autor des Buches Zwänge bewältigen - Ein Mutmachbuch*.